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Was 5 Jahre sexlose Ehe mit mir gemacht haben

  • Writer: OneBigYes
    OneBigYes
  • Sep 29, 2022
  • 5 min read

Updated: May 28, 2024



Die Wissenschaft definiert eine sexlose Beziehung als eine, in der ein Paar weniger als zehn Mal im Jahr Sex (miteinander) hat [1]. Diese Quantifizierung ist sinnvoll wenn man zum Beispiel wissenschaftliche Daten erheben möchte. Wenn es darum geht, das eigene Sexleben zu reflektieren, ist sie allerdings nicht besonders hilfreich. Wieviel Sex genug ist, zuviel, zu wenig oder gerade richtig, ist schließlich sehr subjektiv. Das Adjektiv "sexlos" ist an sich ja erst einmal wertneutral. Eine sexlose Beziehung kann genauso gut und richtig sein wie eine Beziehung, in der rund um die Uhr gevögelt wird, solange beide Partnerpersonen mit der Abwesenheit von Sex einverstanden sind.


Während der letzten fünf Jahre meiner Ehe lag die persönliche Wohlfühlfrequenz in Bezug auf sexuelle Aktivität bei meinem Mann bei selten bis nie. Ich hingegen hatte meist mehrmals die Woche Lust auf Sex (und eigentlich noch viel mehr Lust darauf, gefesselt, verhauen und dominiert zu werden, aber das ist eine andere Geschichte). Wenn ich versuchte Sex zu initiieren oder ihn darauf ansprach, dass wir (fast) keinen Sex mehr hatten, wich er mir aus. Stress bei der Arbeit, finanzielle Probleme, Fernbeziehung, meine Schwangerschaft, unser Baby - irgendeinen Grund, warum gerade keine Zeit und Energie für Sex da war, gab es immer. Wir befanden uns in einer ewigen Spirale aus Vermeidung - Annäherungsversuch - Ablehnung - Streit. Ich habe alles versucht. Nähe, Distanz, Dessous, Massagen, Kuscheln, Sex Toys, Fordern, Bitten, Planen, Paartherapie, ganz viel Reden. Nichts half. Im Gegenteil, je mehr ich das Thema Sex in den Fokus rückte, umso verkrampfter wurden wir und umso deutlicher wurde mein Mann in seiner Abwehr. Irgendwann, ein paar Monate nach der Geburt unseres Kindes, habe ich aufgegeben. Ab dem Zeitpunkt hatten wir dann gar keinen Sex mehr. Ich habe mich oft wahnsinnig einsam gefühlt, und ich glaube meinem Mann ging es genauso. Es waren zwar immer noch ganz viel Nähe und Liebe zwischen uns. Aber meine Kränkung und Frustration, seine Schuldgefühle und Scham, ganz viel Wut und Verletztheit auf beiden Seiten hatten sich wie ein grauer Schleier über unsere Beziehung gelegt.


Esther Perel beschreibt in ihrem Buch Mating in Captivity sehr emphatisch, wie sehr die Dynamiken einer sexless marriage, in der sich eine Partnerperson Sex wünscht und die andere nicht, an die Substanz gehen können. Sie nennt den Zustand, der daraus entsteht, eine emotionale Wüste [1], und das beschreibt es aus meiner Sicht perfekt. Ich war wie ausgehungert nach körperlicher Zuwendung, Aufmerksamkeit, sexueller Energie und Verbindung. Es ging mir dabei nicht um Orgasmen oder darum, einfach von irgendwem flachgelegt zu werden. Deswegen haben mich auch One Night Stands und meine eindrucksvolle Vibratoren Sammlung nicht weitergebracht. Als ich dann eine Affäre begann und mit diesem Partner zum ersten Mal nach langer Zeit wieder diese Art von Intimität und sexueller Ekstase verspürte, hat mich das komplett umgehauen. Ich war wie im Rausch, konnte nicht genug bekommen von diesem Mann, der für mich sozusagen die letzte Cola in der Wüste war.


Für die Person, die sich Sex wünscht und die immer und immer wieder abgewiesen wird, ist eine Verletzung des Selbstwertgefühls quasi zwangsläufig die Folge einer sexlosen Beziehung. Ich habe mich in Perels Schilderung sehr wiedergefunden: "You know he loves you; you've never doubted that; and that's why you've stayed all these years. What hurts so much is that you've never felt wanted by him. You've forfeited sensual complicity for emotional security. It's a cruel bargain." [1] Noch heute spüre ich oft die Auswirkungen dieser Zeit auf mein Selbstwertgefühl. Es fällt mir schwer, mich selbst schön zu finden. Ich kann nicht gut mit Ablehnung und Kritik umgehen. Das Gefühl, zurückgewiesen zu werden, kann mich schnell komplett aus der Bahn werfen.


Perel beschreibt auch die Wut, die entstehen kann, wenn sexuelles Verlangen über lange Zeit ungestillt bleibt, wenn sexuelle Bedürfnisse und Wünsche kontinuierlich abgewiesen oder ignoriert werden: "What you then get is arousal transformed into rage." [1] Diese Wut hat mich fertig gemacht. Mein Mann hat mir mal gesagt, er habe immer das Gefühl gehabt, es mir nie recht machen zu können, egal wie sehr er sich bemühte. Ich glaube, er hatte Recht. Das Opfer der ungewollten Abstinenz, das ich tagtäglich für ihn bringen musste, war einfach zu groß. Es hat mich rasend gemacht und er konnte es durch nichts in der Welt aufwiegen.


Das ist meine Seite der Geschichte. Natürlich gibt es in einer (nicht einvernehmlich) sexlosen Beziehung immer auch die andere Seite - die der Person, die ständig "Nein" sagen muss. Oder noch schlimmer, "Nein" sagen möchte, es aber nicht tut. Und die dann, zum Beispiel um die Partnerperson nicht zu verletzen oder um Streit zu vermeiden, Sex über sich ergehen lässt. Keinen Sex haben zu wollen, ist ein riesiges Tabu. Sexuelle Unlust ist extrem schambehaftet, für Männer vielleicht sogar noch mehr als für Frauen (danke, liebes Patriarchat). Eine hohe Libido und hohe sexuelle Performance im Sinne von zuverlässigen Erektionen werden häufig als wünschenswerte, starke, sehr männliche Eigenschaften wahrgenommen. Umso schwieriger kann es dann für Männer sein, einen möglichen Wunsch nach Abstinenz zu äußern und dafür einzustehen.


Die Sexualtherapeutin Anica Plaßmann schreibt in ihrem Artikel Ungeil in der Zeit: "Es gibt ein stillschweigendes Einvernehmen in unserer Gesellschaft, wonach Sex basaler Bestandteil monogamer Partnerschaften ist. In ihnen kann Sex eingefordert werden. Zugleich sind wir alle uns einig, dass nur konsensfähiger Sex stattfinden darf. Das führt in ein Dilemma." Sie schreibt auch: "Priorität muss der Schutz der Abstinenten haben." Ich bin im Nachhinein über mich selbst erschrocken, weil ich mich immer so im Recht gefühlt hatte, Sex einzufordern. Ich hatte immer den Eindruck, dass ich gewissermaßen die Geschädigte unserer sexlosen Ehe sei und mein Mann das Problem. Aber natürlich hat Plaßmann absolut recht: Eine Person, die keine Lust auf Sex hat, darf niemals, egal auf welche Weise, zum Sex gedrängt werden. Es ist dabei vollkommen irrelevant, ob diese Person in einer Beziehung ist oder nicht, welches Geschlecht sie hat, oder wie ihr Verlangen nach Sex in der Vergangenheit beschaffen war. Vergewaltigung in der Ehe ist in Deutschland erst seit 1997 ein Straftatbestand. Das zeigt, wie tief verwurzelt die Idee ist, dass man sich in einer Partnerschaft gegenseitig Sex schuldet. Das ist natürlich Schwachsinn. Auch Abstinenz ist eine valide Wahl, die eine Person in Bezug auf ihre Sexualität treffen darf. Diese Entscheidung verdient das gleiche Maß an Toleranz und Respekt wie alle anderen möglichen Entscheidungen auch. Plaßmann schließt: "Lustlosigkeit ist normal. Gehört hinein in das Spektrum unterschiedlichster Möglichkeiten, mit unserem sexuellen Potenzial zu leben."


Was also kann man tun, wenn die sexuellen Wünsche in einer monogamen Partnerschaft nicht kompatibel sind? Ich will an dieser Stelle nicht auf Beziehungsmodelle abseits der Monogamie eingehen, denn die destruktive Dynamik, in der ich mit meinem Mann gelandet bin, ist typisch für das Beziehungsmodell Monogamie: Als Beweis unserer Liebe und Treue dürfen wir nur Sex miteinander haben, also haben wir am Ende einfach gar keinen mehr. In dieser mono-normativen Welt gibt es für die Person, deren Partnerperson keinen oder weniger Sex möchte (und das ist meine Perspektive, daher gehe ich auch nur darauf ein) eigentlich nur drei Möglichkeiten:


  1. Ungewollte Abstinenz

  2. Fremdgehen

  3. Trennung


Ich habe alle drei Wege nacheinander gewählt, in dieser Reihenfolge.



[1] Perel, E. Mating in captivity. Yellow Kite, 2007.

 
 
 

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