Der Preis meiner sexuellen Freiheit
- OneBigYes
- Oct 11, 2024
- 3 min read
Updated: Oct 15, 2024
If you were given a box containing everything you've ever lost in life, and you were allowed to pull out just one thing to have back, what would that be?
Dieses kleine Gedankenexperiment beschäftigt mich seit ein paar Wochen. Als ich es zum ersten Mal gelesen habe, habe ich spontan angefangen zu weinen. Ohne nachzudenken wusste ich sofort ganz genau, was ich mir zurückholen würde, wenn ich könnte.
Bald ist es drei Jahre her, dass ich mich vom Vater meines Kindes getrennt habe, weil ich es in unserer sexlosen Ehe nicht mehr ausgehalten habe. Ich wollte (oder konnte) meine sexuellen Bedürfnisse damals einfach nicht länger unterdrücken. Vor der Trennung hatte ich ein paar Monate lang eine Affäre - letztlich ein verzweifelter Versuch, irgendwie "das Beste aus zwei Welten" zu vereinen. Das Fremdgehen hat in mir aber ein so starkes Gefühl innerer Zerrissenheit ausgelöst, dass ich diesen Zustand nicht lange ausgehalten habe.
Weil mein Ex Beziehungsmodelle abseits der Monogamie vehement abgelehnt hat, war für mich klar, dass meine Entscheidung für sexuelle Freiheit zwangsläufig eine Entscheidung gegen unsere Ehe sein würde. Natürlich war unsere Beziehung auch abgesehen von unserer sexuellen Inkompatibilität nicht perfekt. Wir hatten einige Baustellen, wie man so schön sagt. Aber keine davon wäre für mich ein Grund gewesen, mich zu trennen.
Wäre meine Sexualität nicht Teil der Rechnung gewesen, hätte ich in meinem alten Leben glaube ich sehr glücklich werden können. Meine Motive für die Trennung waren tatsächlich sexuelle Freiheit und das Ausleben meiner Kinks. "Welche Frau trennt sich denn bitte vom Vater ihres zweijährigen Kindes, nur weil sie Sex haben will?", habe ich damals meine Therapeutin gefragt. Die Schuldgefühle, die dieser Frage zugrunde liegen, haben mich lange und sehr intensiv beschäftigt.
Ich habe seit der Trennung viel Schönes gewonnen: neue FreundInnen und Beziehungen, intensive Erlebnisse, sexuelle Abenteuer und Momente der Ekstase, Selbstwert und Selbstvertrauen, mentale Gesundheit, Lebenslust, ein ganz neues Körpergefühl, neue Kinks und eine große Neugier auf alles, was es da noch für mich zu entdecken gibt.
Aber ich habe auch gewonnen: eine anstrengende Scheidung, Unterhaltsstreitigkeiten, andauernde Konflikte mit meinem Ex. Ein absoluter Tiefpunkt war, als er damit gedroht hat, dem Jugendamt von meinen wechselnden Partnern und meinem BDSM Interesse zu erzählen um so zu beweisen, dass ich als Mutter ungeeignet sei. Die Dame vom Berliner Jugendamt, bei der ich damals völlig aufgelöst angerufen habe, war von diesem unfreiwilligen Outing übrigens gänzlich unbeeindruckt ("Hier rufen ständig Männer an und erzählen dies und das über ihre Ex-Partnerinnen, wir ignorieren das einfach.")
Und ich habe viel verloren. Gemütliche Sonntagabende auf dem Sofa mit meinem Mann, der mir so vertraut war wie niemand sonst in meinem Leben. Familienurlaube, Familienausflüge, Familien-Alles. Das Gefühl, zwischen meinem Mann und unserem Kind zu liegen und zu wissen, dass wir drei zusammengehören. Mich gemeinsam mit ihm darüber freuen, dass unser Kind ein neues Wort gelernt oder irgendetwas lustiges gemacht hat. Die Sicherheit und Stabilität, die meine Ehe mir bis zuletzt gegeben hat.
Ich möchte mein altes Leben nicht zurück, denn meine Sexualität ist Teil der Rechnung. Sie gehört zu mir und es war richtig, für mich und meine sexuellen Bedürfnisse einzustehen. Trotzdem gibt es Momente, in denen ich traurig bin über das, was ich aufgegeben habe.
Die sexuelle Freiheit, die ich heute genieße, hatte für mich einen hohen Preis.
Im Grunde macht sie das umso kostbarer.
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